28. August 2020, gepostet in PsychologischesDie psychologische Traumdeutung: 5 Meilensteine

Der Traum ist der königliche Weg zu unserer Seele. (Sigmund Freud: Die Traumdeutung)

Träume gehören zu den Phänomenen, die ihre Geheimnisse noch immer nicht ganz preisgegeben haben. Psychologen, Neurowissenschaftler und Mediziner erforschen, wie genau unsere Trauminhalte zustande kommen. Einigkeit besteht darüber, dass Träume Anhaltspunkte über unser Wohlbefinden geben. Wohl auch deshalb interessieren sich Menschen dafür, was ihre Träume bedeuten.

Bevor sich die psychologische Traumdeutung entwickelte, verstanden die Menschen ihre Träume als Botschaften der Götter.

Eine kurze Geschichte der Traumdeutung

Träume wurden gedeutet als göttliche Eingebungen, als körperliche Reaktionen auf Umweltreize und als vorausschauende Wahrnehmungen. Das berühmte über 4000 Jahre alte Gilgamesch-Epos enthält Traumerzählungen aus dem 7. Jahrhundert v. Chr.

Eine weitere bekannte Sammdlung von Traumdeutungen ist auf den Tontafeln von Ninive zu finden. Diese Sammlung von Traumdeutungen aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. ist auch als Traumbuch des Assurbanipal bekannt. Wahrscheinlich bezog sich im 5. Jahrhundert nach Christus der berühmte Traumdeuter Artemidor von Daldis auf diese Aufzeichnungen. Daraus und aus anderen Werken verfasste er selbst ein Traumbuch.

Psychologische Traumdeutung: Aufzeichnungen in alten Büchern.
Schon mit Entstehung der Schrift zeichneten Menschen ihre Träume auf.

Auch in der Bibel gibt es Traumgeschichten, im Alten Testament einige mehr als im Neuen Testament. Allen gemeinsam ist, dass sich hier – entsprechend den Vorstelllungen der Träumenden – Gott offenbart. Die Träumenden empfangen Weisungen, Warnungen oder Zusagen. Manchmal gewährt Gott einen Blick in die Zukunft. Die Traumerzählungen der Bibel sind bildreich und dadurch einprägsam.

Zu den bekannten Traumerzählungen der Bibel gehört Jakobs Traum von den Engeln auf der Himmelsleiter (1. Mose 28, 10-22).

Bekannt ist auch die Traumerzählung von Salomon.  Gott  fragt ihn nach seinen Wünschen und Salomo wünscht sich nicht etwa Reichtum, sondern ein gehorsames Herz. Dieser Wunsch gefällt Gott; er erfüllt ihm den Wunsch und schenkt ihm außerdem noch Weisheit, ein langes Leben, Reichtum und Ehre. Tatsächlich galt Salomo  später als der weiseste und reichste König Israels. (1 Könige 3, 15)

Und nicht zuletzt erhält im Neuen Testament Josef durch einen Engel Gottes konkrete Anweisungen zum Handeln. So nimmt er Maria zur Frau (Matthäus 1,19) und flieht später mit ihr und Jesus nach Ägypten. (Matthäus 2, 13-15)

Nach diesem sehr kurzen Rückblick springen wir zum Anfang des 20. Jahrhunderts, dem ersten Meilenstein der psychologischen Traumdeutung. Genau im Jahr 1900 erschien das vielleicht berühmteste Buch über die psychologische Traumdeutung.

1. Sigmund Freud: Der Traum als Schleier über dem Unbewussten

Die Geschichte der psychologischen Traumdeutung beginnt offiziell mit dem Vater der Psychoanalyse, Sigmund Freud (1856-1939). Er veröffentlichte im Jahr 1900 sein Werk „Die Traumdeutung“. Darin deutete er erstmals Träume im Zusammenhang mit der Lebensgeschichte des Träumers.

Die Träume, so heißt es am Anfang des ersten Kapitels, stellen sich als ein „sinnvolles psychisches Gebilde heraus, welches an angebbarer Stelle in das seelische Treiben des Wachens einzureihen ist“*.

Nach vollendeter Deutungsarbeit läßt sich der Traum als eine Wunscherfüllung erkennen. (S. Freud in “Die Traumdeutung “)

Sigmund Freud deutete die Traumbilder, indem er Assoziationen zum Wortklang bildete und die einzelnen Begriffe mit weiteren Gedanken und Gefühlen verband. So legte er im Rahmen seiner Psychoanalysen schrittweise verdrängte Wünsche, Ängste und Sehnsüchte frei. Nach dieser Methode analysierte er nicht nur die Träume seiner Klient:innen, sondern auch die eigenen.

Die Traumdeutung Freuds bezog sich auf die Vergangenheit, vor allem die Kindheit. Träume waren für ihn der Schleier über dem Unbewussten.

2. Carl Gustav Jung: Der Traum enthält die Lösung

Der Freud-Schüler Carl Gustav Jung (1875-1961) verstand Traumelemente und Traumfiguren als Teile der Persönlichkeit. Daraus leitete er Einblicke in die Ängste und Zweifel des Menschen ab.

Im Unterschied zu Freud betrachtete er Träume als Hinweise auf nicht gelebte Anteile des Selbst. Träume können also aktuelle Konflikte aufzeigen und enthalten gleichzeitig die Lösungen dafür.

C.G. Jung unterschied vier Arten von Träumen:

    • Wiederholungsträume: Sie dienen der Verarbeitung und Auflösung von Erlebtem, das mehr oder weniger weit zurückliegt. Dabei geht Jung davon aus, dass der Traum bereits die Lösung für das Problem enthält.
    • Kompensatorische Träume: Sie schaffen eine Gegenwelt zum realen Leben.
    • Archetypische Träume: Sie enthalten die Archetypen, allgemeingültige Seelenbilder aller Menschen. Im Schlaf greift das Unbewusste des Einzelnen auf das Stammhirn zu, wo diese Archetypen als Inhalte des kollektiven Unbewussten verankert sind. So schaffen archetypische Träume eine Verbindung zur Menschheitsgeschichte und dem seit Menschengedenken gespeicherten Wissen.
    • Präkognitive (vorausschauende) Träume: Sie enthüllen Informationen aus unbekannten Quellen. Diese Träume lassen sich nicht durch Wahrnehmungen, Erfahrungen oder Wissensquellen erklären. Meist ist erst später erkennbar, dass es sich um einen vorausschauenden Traum handelte.

Besonders wichtig war C. G. Jung die Bedeutung der Traumsymbole. Jung verstand Symbole als verdichtetes Wissen, mit dem der oder die Träumende den eigenen Horizont erweitern und Lösungen finden kann. Außerdem empfahl Jung, Träume nicht nur einzeln, sondern als Serie zu deuten.

In der psychologischen Traumdeutung werden diese Ansätze noch heute angewendet. Traumforscher wie Calvin Hall bauten auf den Forschungsergebnissen von Sigmund Freud und C. G. Jung auf.

3. Calvin Hall: Träume aus aller Welt

Calvin Hall (1909 – 1985), US-amerikanischer Tiefenpsychologe und Traumwissenschaftler, beschäftigte sich seit den 1940-er Jahren mit der psychologischen Traumdeutung.

Er stimmte der Auffassung von C.G. Jung zu und sah das Träumen als eine Aktivität, die stark von der einzelnen Person abhängt. Träume sind persönliche Dokumente, sie geben Aufschluss über den besonderen psychischen Zustand eines Menschen; womit er sich beschäftigt, während er schläft.

Psychologische Traumdeutung: Eine Fotomontage zeigt eine Frau, die in einem aufgeschlagenen Buch schläft.
Psychologische Traumdeutung: Der Traum erzählt, was den Menschen im Schlaf beschäftigt.

Bis zu seinem Tod hatte Calvin Hall mehr als 50.000 Träume von Menschen aus aller Welt gesammelt. Seinen Analysen verdanken wir wertvolle Einblicke in die häufigsten Trauminhalte. Zum Beispiel fand er diese Einzelheiten heraus:

    • Traumorte: Erholsame Orte sind häufiger als solche mit Arbeit und Mühe.
    • Emotionen: Negative Emotionen wie Zorn und Traurigkeit treten öfter auf als glückliche Gefühle.
    • Traumfiguren gehören meist zum Umfeld des Träumenden, nur selten sind sie öffentliche Personen.
    • Trauminhalte schildern Konflikte und Ängste, Selbstreflexion und Zukunftsaussichten des Träumenden und seiner nahestehenden Menschen.
    • Kindheitstraumata können im Traum sichtbar werden.
    • Die Traumszenen entsprechen den Gefühlen des Träumenden.

Zudem zeigte sich, dass die Menschen in allen Ländern und Kulturen von ähnlichen Inhalten träumen. Unterschiede zeigten sich lediglich im Fühlen und Denken des Traum-Ichs.

Durch die Deutung der Träume können vier Hauptfragen beantwortet werden:

    • Wie sehe ich mich selbst?
    • Wie sehe ich andere?
    • Welche Motive habe ich?
    • Welche Konflikte habe ich?

4. Die Grundkonflikte im Traum

Calvin Hall formulierte fünf Grundkonflikte der Traumtätigkeit:

    • Freiheit – Sicherheit
    • Recht – Unrecht
    • Männlichkeit – Weiblichkeit
    • Leben – Tod
    • Liebe – Hass in Bezug auf die Eltern.

Die psychologische Traumdeutung untersucht auch, ob einer der genannten Konflikte sich in dem Traum wiederspiegelt.

5. Fritz Perls: Trauminhalte gestalten

Fritz Pearls (1893-1970), Psychiater und Mitbegründer der Gestalttherapie, sah in Träumen verloren gegangene Anteile der Persönlichkeit. Darin stimmte er mit C. G. Jung überein. Doch er ging noch einen Schritt weiter und folgerte:  Wenn jedes Traumbild einen entfremdeten Teil des menschlichen Selbst darstellt, dann sollte der Träumende jedem Traumbestandteil eine eigene Stimme und somit Ausdrucksmöglichkeit geben; so könnte er ihn zurückgewinnen.

Fantasy: Ein aufgeschlagenes Buch, ein Hund, ein Mädchen mit Schrim, ein Vogel auf einer Laterne. Daneben eine große Tasse mit Milch.
In der psychologischen Traumdeutung nach Perls erhalten die Traumelemente eine eigene Stimme.

Deuten wir einen Traum mit diesem Ansatz, schlagen wir auf spielerische und kreative Weise eine Brücke zwischen dem Traumbild und unserem Wachbewusstsein. So fällt es oft leichter, unliebsame Anteile (zum Beispiel Zorn, Schwäche, Schamgefühle) zu akzeptieren und liebevoll anzunehmen.

6. Klaus-Uwe Adam: Albträume sind wertvoll

Angst- und Albträume sind sehr aufregend und bleiben uns manchmal hartnäckig im Gedächtnis. Diese Träume anzuschauen, kann schwerfallen – gehen wir doch Ängsten lieber aus dem Weg. Die psychologische Traumdeutung kann dabei helfen, sie anzunehmen und aufzulösen.

In seinem Buch “Therapeutisches Arbeiten mit Träumen” ermutigt uns der Therapeut und Autor Klaus-Uwe Adam (*1949), unsere Alb- und Angstträume zu würdigen:

Alles, was uns im Traum verfolgt, will zu uns. Verfolgende Inhalte im Traum wollen ins Bewusstsein. Sie versuchen, sich dem Ich zu nähern und wollen eigentlich von ihm angeschaut und erkannt werden. Hierbei ist die Verfolgung ein Zeichen für die Diskrepanz zwischen dem Ich-Bewusstsein und dem Unbewussten. Sehr weit abgespaltene oder heftig vom Bewusstsein zurückgewiesene Inhalte werden „böse“, sie nehmen einen feindseligen und ängstlichen Charakter an.

Alb- und Angstträume sind mit intensiven Gefühlen verbunden; ein Hinweis auf vergangene Erfahrungen und Ängste. Werden diese verstanden, nimmt die Zahl der Albträume ab.

Der Blick auf schwierige Lebensaspekte:  Im Wachzustand unterdrückte Erinnerungen, Gedanken, Eindrucke und Gefühle, zeigen sich im Traum.

Das Betrachten der Traumbilder ist ebenso wichtig wie das Anschauen der Gefühle. Hier liegt eine Chance, diese Gefühle auch im Wachzustand besser zu bewältigen.

7. Psychologische Traumdeutung für innere Harmonie

Klaus-Uwe Adam sieht den Sinn des Träumens darin, eine Kommunikation zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein anzuregen. Sie stellt das seelische Gleichgewicht wieder her und ermöglicht die psychische Entwicklung und persönliches Wachstum.

Fantasy: Eine Frau hat drei Gesichter, die alle ineinander überggehen. Alle drei Gesichter lächeln.
Psychologische Traumdeutung: Wer sich selbst versteht, fühlt sich wohl.

Die heilsame Wirkung der psychologischen Traumdeutung erlebe ich immer wieder in den Gesprächen mit Klientinnen und Klienten. Besonders während eines länger andauernden Coachingprozesses spiegelt die Veränderung der Träume die Richtung der inneren Entwicklung. Aber auch einzelne Träume sind oft erstaunlich aussagefähig.

Es ist spannend und bereichernd, die eigene Traumwelt zu erkunden. Dabei sind Überraschungen möglich: Ängste lösen sich auf, Konflikte verlieren ihre Bedeutung, das Selbstgefühl verbessert sich.

Ob im Rahmen eines Therapie- oder Coachingsprozesses oder für sich allein: Wer lernt, seine Träume zu verstehen, lernt sich selbst besser kennen und entwickelt mehr Vertrauen zu sich selbst.

Es lohnt sich also, die eigene Traumwelt zu erkunden. In meinem Artikel zur praktischen Anwendung der Traumdeutung finden Sie Anregungen für ihre eigene psychologische Traumdeutung.


Quellen:

  • Freud, Sigmund: Die Traumdeutung (German Edition). Vierte, vermehrte Auflage, 1914. Kindle-Version.
  • Abschnitt zu C.G. Jung: Lexikon für Psychologie und Pädagogik, Stangl 2020
  • Zum Vergleich der Traumdeutung von S. Freud und C.G. Jung: Ermann, Michael: Träume und Träumen. Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychosomatik; Verlag W. Kolhammer. 2. überarbeitete Auflage
  • Abschnitt “Grundkonflikte im Traum”: Quelle: http://www.soz-etc.com/ps/traumdeutungen/autoren_Hall.htm
  • Adam, Klaus-Uwe: Therapeutisches Arbeiten mit Träumen: Theorie und Praxis der Traumarbeit. Springer; 2. Aufl. 2006 Auflage (25. Dezember 2010)

 


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